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Datendrang

In meiner beruflichen Rolle habe ich in einem kurzen Kommentar verschiedene deutsche und europäische Daten-Initiativen zusammengefasst, die ich bei einer Konferenz in Berlin kennenlernen durfte:

Radikale Kooperation als Zukunftsbild des deutschsprachigen Wirtschaftsraums

Wettbewerbsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Resilienz prägen den wirtschaftspolitischen Diskurs Europas. Digitalisierung wird als ein zentrales Werkzeug für diese Ziele betrachtet. Zahlreiche politische und industrielle Initiativen streben datenbasierte Kooperationen in Wertschöpfungsnetzwerken an, auf nationaler und internationaler Ebene.

Abseits vom Digital Europe Programme und Initiativen anderer Länder treibt insbesondere Deutschland diesen Ansatz voran. Nach Gaia-X, Catena-X und zahlreichen weiteren Maßnahmen, investiert die deutsche Bundesregierung derzeit 150 Millionen Euro in das Förderprogramm Manufacturing-X. Ziel ist es, Strategien zu entwickeln und Lösungen zu implementieren, die die Transformation der Industrie unterstützen.

Scaling Industrial Data Ecosystems“ – unter diesem Motto lud das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Oktober zu einer Veranstaltung nach Berlin ein. Dort wurden Visionen und Maßnahmen vorgestellt sowie Akteure vernetzt. Ein Rückblick.

Gemeinsam schneller voran

Von verschiedenen Seiten wurde betont, dass mutige Investitionen in die Zukunft der europäischen Industrie notwendig sind. Doch welche Investitionen sind gemeint? Und in welche Zukunft wird investiert?

Bernhard Kluttig, Leiter der Abteilung Industriepolitik im BMWK betonte den Qualitätsanspruch der deutschen Industrie, der auch in Zukunft gelten müsse. Die 2020 gestarteten KoPa 35c-Projekte, Catena-X, Manufacturing-X, 8ra und Co. sind Initiativen, die diesen Zugang untermauern sollen. Ernst Stöckl-Pukall, Referatsleiter Digitalisierung und Industrie 4.0, sieht die Rolle des BMWK darin, die projektübergreifende Zusammenarbeit einzufordern.

Auch Prof. René Rohrbeck von der EDHEC Business School betonte die Bedeutung von Zusammenarbeit und erinnerte an frühere Industrieinitiativen, z.B. das Suchmaschinenprojekt Quaero. Erfolgreiche Initiativen würden ein länderübergreifendes Problemverständnis voraussetzen, ihr volkswirtschaftliche Nutzen müsse klar sein. Ein Positivbeispiel wäre das Galileo-Projekt in der Satellitennavigation.

Die anwesenden Industrievertreterinnen teilten diese Ansicht. Annika Hauptvogel von Siemens bekräftigte, dass auch große Konzerne nicht schnell sein können, wenn sie alles selbst machen wollen, man brauche Partnerschaften. Ähnlich sieht das Thomas Schneider von TRUMPF: in der Vergangenheit habe die Kundschaft auf die Qualität einer Maschine vertraut, heute fordere sie die Qualität eines ganzen Ökosystems ein. Die Standardisierung müsse von Unternehmen wieder stärker besetzt werden. Eine IT-Architektur solle kein Alleinstellungsmerkmal, sondern ein Standard sein, der mit bestehenden Spezialisierungen einfach kombinierbar sein muss.

Kooperation als Motor für die Zukunft

Das politische Backup für die kooperativen Ansätze kommt von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Dieser sieht ein gemeinsames Datenökosystem als Basis für ein neues Produktionswachstum in Deutschland. Trotz im Vergleich zu großen Technologieunternehmen begrenzter finanzieller Mittel sieht er in der Kooperation rund um Manufacturing-X & Co. eine potenziell starke Hebelwirkung.

Optimistisch blieb auch Prof. Henning Kagermann. Er verwies auf den langen Atem, den Deutschland bei der Entwicklung von Industrie 4.0 bewiesen habe. Die Plattform Industrie 4.0 in Deutschland wäre immer wieder durch innovative Bausteine aufgewertet worden. Nun würden aber strukturelle Herausforderungen Deutschland einholen – als Ausweg beschrieb er gemeinsame Initiativen, internationale Kooperationen und die notwendige Rolle des Staates als Kunde innovativer Lösungen. Abseits von Subventionen und Förderungen brauche es gemeinsame Entwicklungsarbeit, Verantwortungsübernahme und vor allem Aufbruchstimmung. Auch Gewerkschaften und Betriebsräte könne man für die Zukunft der europäischen Industrie begeistern.

Maßnahmen zur Umsetzung der Vision

Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, setzt Deutschland auf verschiedene Projekte in den Bereichen Infrastruktur, Technologieanwendung und Wissenstransfer.

Mit der digitalen Infrastruktur beschäftigt sich das 8ra-Projekt, das „Important Project of Common European Interest“ zu Cloud und Edge Computing (IPCEI-CIS). Über das Projekt werden 3,5 Mrd. € in circa 120 Umsetzungsprojekte investiert, 12 Länder beteiligen sich. Gemeinsam möchte man die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von Technologie-Anbietern aus Drittländern reduzieren.

Die Technologieanwendung in Unternehmen wird über die verschiedenen „X-Projekte“ gefördert. Bei Catena-X, dem Leuchtturmprojekt der Automobilindustrie, setzt man ganz auf die Entwicklung von Open Source Software im Eclipse-Projekt Tractus-X. Oliver Ganser von BMW unterstrich die Bedeutung gemeinsamer Softwareentwicklung für die Umsetzung von „Industrie 4.0 Plus“. Andreas Wollny von BASF hob die Wichtigkeit von Interoperabilität in Catena-X hervor, die sich z.B. an einem gemeinsamen Datenmodell zur Berechnung des Product Carbon Footprint zeigt. Sophie Smolka von LRP Autorecycling verwies auf die Vorteile standardisierter Batteriepässe für Unternehmen im Recycling.

Die verschiedenen Manufacturing-X-Projekte stehen derzeit am Anfang. Die Förderung eines weiteren Projekts im Bereich der Robotik, RoX, wurde im Rahmen der Konferenz bekanntgegeben. Was sie alle gemeinsam haben (sollen), ist die Software-Basis. Michael Plagge von der Eclipse Foundation sprach von „Open Collaboration“ als passenden Begriff für die gemeinsame Weiterentwicklung der Manufacturing-X-Bausteine. Er appellierte außerdem an Unternehmen, sich gut um ihre Softwareentwicklerinnen zu kümmern – sie sind die Heizer im Maschinenraum und schaffen die technische Basis für die Projektarbeit.

Knowhow-Aufbau skalieren

Der Wissenstransfer spielt bei allen genannten Projekten eine wesentliche Rolle. Einerseits sollen bestehende Netzwerke eingebunden werden, z.B. die Initiative Next Level Mittelstand. Andererseits soll die Internationalisierung über das International Manufacturing-X Council rund um Thomas Hahn von Siemens verfolgt werden.

Für den Wissensaustausch zwischen den Projekten sorgt das „Manufacturing-X Guidance Board“, in dem sich u.a. Georg Kube von SAP engagiert. Um die Verbreitung von Knowhow aus den Projekten und damit die Skalierung in die breite Wirtschaft wird sich u.a. das Projekt Scale-MX kümmern. Angelina Marko vom ZVEI wird das Projekt gemeinsam mit weiteren deutschen Verbänden und regionalen Netzwerken umsetzen.

Bedeutung für Österreich

Für Österreich, dessen Wirtschaft eng mit der deutschen verbunden ist, bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Einerseits werden auch hierzulande immer wieder Projekte gefördert, die ähnliche Zielsetzungen verfolgen. Die Anknüpfung an Manufacturing-X wurde zuletzt z.B. bei der Ausschreibung für ein Leitprojekt zum Digitalen Produktpass explizit hervorgehoben.

Andererseits gibt es die Möglichkeit der direkten Kooperation mit den verschiedenen X-Projekten. Bei vielen von ihnen, z.B. Factory-X, Semiconductor-X oder Decide4ECO, können sich österreichische Firmen als assoziierte Partner beteiligen. Abgesehen davon informieren wir bei der Plattform Industrie 4.0 laufend über Entwicklungen und Neuigkeiten zum Datenaustausch in der Produktion. Interessierte können sich hier für den Verteiler anmelden.