Der Glaube an Österreich ist notwendig – und braucht mehr als eine Kampagne
Österreich ist eine Gemeinschaft. Unser Staat verbindet die Vorarlberger Akademikerin mit dem Kärntner Pensionisten, den Verkäufer aus Wien mit der steirischen Industriellen. Das Gemeinschaftsgefühl ist die Grundlage für jede Demokratie, es rechtfertigt Steuern, Ausgaben für die Landesverteidigung, den Sozialstaat oder Investitionen in die gemeinsame Infrastruktur.
Gemeinschaft setzt den Austausch miteinander voraus. In Österreich, wie auch in anderen westlichen Demokratien, erleben wir aber seit Jahren den Rückzug ins Individuelle: der Pool im Garten wird gegenüber dem Freibad, der eigene Beamer gegenüber dem Kinobesuch bevorzugt. Der Stammtisch wird durch soziale Medien mit ihren Filterblasen ersetzt. Weniger gesellschaftliche Interaktion bedroht den Gemeinschaftssinn.
Das Lösen großer Herausforderungen setzt Gemeinschaft voraus
„Was dem einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ – das Friedrich Wilhelm Raiffeisen zugeschriebene Zitat gilt auch für die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Egal ob Maßnahmen zum Klimaschutz, zum Erhalt unserer Industrie oder zur Regulierung digitaler Plattformen – sie alle setzen die gemeinsame Bereitschaft für Veränderungen zum Wohle der Gemeinschaft voraus. In anderen Worten: weniger Flugreisen oder Neubauten, höhere Preise für Elektronik aus Fernost oder der Rückzug einer App vom österreichischen Markt erfordern kollektive Zugeständnisse. Solche Herausforderungen bewältigt eine Gesellschaft nur, wenn die Bevölkerung dahintersteht. Ohne Vertrauen in die Gemeinschaft Österreich sind sie nicht lösbar.
Das Vertrauen in die Gemeinschaft wird konterkariert, wenn man das Gefühl hat, dass andere es sich richten. Postenschacher und intransparente Studienvergaben, Umwidmungsgewinne öffentlicher Amtsinhaber und fragwürdige Lobbying-Aktivitäten ehemaliger Spitzenpolitiker – sie schwächen den Glauben an Österreich.
Notwendige Ehrlichkeit und offene Diskussion
Österreich hat die verschiedenen Krisen der letzten Jahre überstanden, dennoch leidet unsere langfristige gesellschaftliche und wirtschaftliche Substanz. Die Politik wird sich demnächst einer Vielzahl großer Fragen stellen müssen, darunter: Wie gelingt es uns, Wohnraum zu schaffen, ohne permanent neue Böden zu versiegeln? Wie garantieren wir die Versorgungssicherheit nach der Pensionierung der Babyboomer? Wie schaffen wir es, Arbeit in unserem Steuersystem signifikant zu entlasten? Wie gelingt es uns, Migration human zu regulieren und Menschen aus anderen Kulturkreisen nachhaltig zu integrieren? Wie können wir die Vorteile der Digitalisierung ohne langfristige Abhängigkeiten nutzen? Welche Kompromisse sind notwendig, um innerhalb der EU nationale Alleingänge zu verhindern?
Die Beantwortung solcher Fragen erfordert einen offenen Austausch, wechselseitige Zugeständnisse und das Eingeständnis, dass inhaltliche und personelle Entscheidungen manchmal Fehler waren und Veränderungen erfordern. Allen voran braucht es politischen Mut und Ehrlichkeit, Partikularinteressen und Klientelpolitik müssen hintangestellt werden. Für manche wird das unangenehm, für viele aber erleichternd sein und eines stärken: den Glauben an Österreich.
Bild zum Blogpost: (c) Wikimedia Commons user: Ikonact, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license; black white filter applied
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